Warum?
Heute, 04:48
Warum?
Heute, 04:48
Warum?
Oder: Was man nicht alles tut…
Naja, dachte ich, sie macht sich die ganze Mühe, und sie freut sich darauf. Warum sollte ich, der sich keine Mühe machen muss, sich also nicht darauf freuen, und ihr zumindest einen kurzen Besuch dort abstatten, wo sie mit ihren Freunden feiert? Spontan wären mir etliche Antworten eingefallen. Aber vor mir selbst, den Einwohnern der Kulturhauptstadt, und vor einer Freundin als Spaßbremse dazustehen, hätte mir auch nicht so recht gefallen.
Und jedes Mal, wenn der Teil meines Hirns, der mir mein Leben lang mittels spontaner Dienstverweigerung zu den unvergesslichsten Erlebnissen verholfen hat, sich meldete, sah ich dieses schreckliche Bild vor mir. Heute Abend in der Sondersendung der Tagesschau, würde ein sechzigminütiger Hubschrauberüberflug über die längste Kette von Nahrungsaufnehmern in der Geschichte der Menschheit gezeigt werden. Ein Rekord von historischem Ausmaß. Doch dann, irgendwo bei Essen Frillendorf,… das was die ganze Sache zum Scheitern verurteilt hätte. Eine Lücke! Die Lücke, die entstanden wäre, durch meine Ignoranz und meinen Hang, mich doch lieber auf meinem Balkon zu einer friedlichen Ein- bis Zweipersonenkette an einer Rundtafel mit 60 cm Durchmesser einzufinden. Diese Verantwortung konnte und wollte ich nicht übernehmen.
Also beschloss ich, gegen jede Vernunft und Erfahrung, mich auf den Weg zur A 40 zu machen, die heute zur längsten Tafel des Universums mutieren soll. Ganz sicher, auf dem Weg dorthin ausreichend vorgefertigte Ausreden für mein sofortiges wieder Verlassen des Schauplatzes kreieren zu können, schleppte ich mich also zur nächstgelegenen Bushaltestelle. Alles klar, ein Flop, so wie ich es vorausgesagt habe, dachte ich, als ich dort mutterseelenallein herumstand. Als ich dann aber in dem Bus, in einem Kinderwagen auf dem Schoß eines Säuglings saß, mit dem Gesicht in dem einer Dreitonnerin, kam doch so etwas wie Euphorie und Stolz, dabei sein zu dürfen, auf. Und immer, wenn ich den Kopf zum Atmen, zwischen zwei nicht zuordenbaren Hinterteilen an die Seitenscheibe presste, sah ich Millionen und Abermillonen von Fahrradfahrern und Wanderern, die in die gleiche Richtung unterwegs waren.
So langsam kam mir der Gedanke, vielleicht doch nicht so notwendig dort zu sein, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Einfach an der nächsten Haltestelle aussteigen, ein bisschen unter den Platanen herum flanieren und am nächsten Büdchen ein Eis am Stiel kaufen. Was wäre das für ein wunderbarer Sonntag. Auch der Säugling würde wieder eine gesündere Gesichtsfarbe bekommen, wenn ich nur erst einmal hier weg wäre. Aber so einfach aussteigen, wo man will, ist an solchen Tagen nicht erwünscht. Von Niemandem. Und so ergab ich mich in mein Schicksal und ließ mich von den beiden Punkern mitsamt dem Kinderwagen, am Bestimmungsort aus dem Bus heben und vor einem Schalthäuschen der Telekom abkippen. Dem Hubschrauber, der sich langsam zu mir absenkte, signalisierte ich durch Winken mit dem weit ausgestreckten Mittelfinger meiner rechten Hand, dass es mir gut ginge, und ich keine Hilfe benötige.
Zwischen Menschen, die ganz schnell auf die Autobahn, und anderen, die noch schneller wieder herunter wollten, robbte ich mich langsam zu Block 50, Tisch 311 vor und fand auf Anhieb meine Freundin. Sie freute sich, das konnte man sehen, und das auch schon, als sie mich noch nicht erblickt hatte. So wie alle hier. Oder etwa nicht? Ich schaute mich noch einmal um. Wie schon im Bus, sah ich viele verbissene Gesichter, deren Eigentümer unter der Last der Aufgabe zu leiden schienen. Frauen, die ihre unwilligen Männer hinter sich her zogen. Und Männer, die so taten, als wären sie gerne hier. Tja, das kenne ich, dachte ich… Was man nicht alles tut, bis man sie rumgekriegt hat. Und dann sah ich wieder welche, da hätte ich mir gar nicht vorstellen können, sie rumkriegen…. Aber jetzt wollte ich erst einmal das Bad in der Menge genießen, oder wenigstens versuchen, nachzuempfinden, was Menschen davon haben, sich unter so viele andere Menschen zu mischen. Ich fand es nicht heraus, wie schon so oft, wenn ich das versucht habe.
Der Einzige, der wirklich Spaß zu haben schien, war ein Dreikäsehoch, den seine Eltern auf eine Notrufsäule gesetzt hatten, um ein unvergessliches Foto von ihm zu machen. Oder wollten sie nur einen Kurzfilm drehen, für eine dieser Pannenshows? Ich wendete mich ab. An einem so schönen Tag, zwischen so vielen Freude heuchelnden Menschen, wollte ich kein Blut sehen. Schon mit der ersten meiner Ausreden erreichte ich die Absolution und verließ den Ort des Geschehens. Irgendwie erleichtert, und doch auch ein wenig stolz, sitze ich nun hier und warte auf die ersten Hochrechnungen. Ob sie es geschafft haben? 60 Km Tisch an Tisch und Mensch an Mensch. Wenn sie clever waren, haben sie das gefilmt, als ich mich mal so richtig breit gemacht habe. Ich hoffe, dass es keine Lücken gab. Denn das würde bedeuten, dass es Menschen gibt, die sich nicht beeindrucken lassen, von solchen Veranstaltungen, und statt dessen lieber auf dem Balkon… Nein, solche Menschen gibt es nicht. Jedenfalls nicht viele. Das kann nicht sein. Sie müssten ja vernünftiger sein als ich. Und das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

*18. 07. 2010
Naja, dachte ich, sie macht sich die ganze Mühe, und sie freut sich darauf. Warum sollte ich, der sich keine Mühe machen muss, sich also nicht darauf freuen, und ihr zumindest einen kurzen Besuch dort abstatten, wo sie mit ihren Freunden feiert? Spontan wären mir etliche Antworten eingefallen. Aber vor mir selbst, den Einwohnern der Kulturhauptstadt, und vor einer Freundin als Spaßbremse dazustehen, hätte mir auch nicht so recht gefallen.
Und jedes Mal, wenn der Teil meines Hirns, der mir mein Leben lang mittels spontaner Dienstverweigerung zu den unvergesslichsten Erlebnissen verholfen hat, sich meldete, sah ich dieses schreckliche Bild vor mir. Heute Abend in der Sondersendung der Tagesschau, würde ein sechzigminütiger Hubschrauberüberflug über die längste Kette von Nahrungsaufnehmern in der Geschichte der Menschheit gezeigt werden. Ein Rekord von historischem Ausmaß. Doch dann, irgendwo bei Essen Frillendorf,… das was die ganze Sache zum Scheitern verurteilt hätte. Eine Lücke! Die Lücke, die entstanden wäre, durch meine Ignoranz und meinen Hang, mich doch lieber auf meinem Balkon zu einer friedlichen Ein- bis Zweipersonenkette an einer Rundtafel mit 60 cm Durchmesser einzufinden. Diese Verantwortung konnte und wollte ich nicht übernehmen.
Also beschloss ich, gegen jede Vernunft und Erfahrung, mich auf den Weg zur A 40 zu machen, die heute zur längsten Tafel des Universums mutieren soll. Ganz sicher, auf dem Weg dorthin ausreichend vorgefertigte Ausreden für mein sofortiges wieder Verlassen des Schauplatzes kreieren zu können, schleppte ich mich also zur nächstgelegenen Bushaltestelle. Alles klar, ein Flop, so wie ich es vorausgesagt habe, dachte ich, als ich dort mutterseelenallein herumstand. Als ich dann aber in dem Bus, in einem Kinderwagen auf dem Schoß eines Säuglings saß, mit dem Gesicht in dem einer Dreitonnerin, kam doch so etwas wie Euphorie und Stolz, dabei sein zu dürfen, auf. Und immer, wenn ich den Kopf zum Atmen, zwischen zwei nicht zuordenbaren Hinterteilen an die Seitenscheibe presste, sah ich Millionen und Abermillonen von Fahrradfahrern und Wanderern, die in die gleiche Richtung unterwegs waren.
So langsam kam mir der Gedanke, vielleicht doch nicht so notwendig dort zu sein, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Einfach an der nächsten Haltestelle aussteigen, ein bisschen unter den Platanen herum flanieren und am nächsten Büdchen ein Eis am Stiel kaufen. Was wäre das für ein wunderbarer Sonntag. Auch der Säugling würde wieder eine gesündere Gesichtsfarbe bekommen, wenn ich nur erst einmal hier weg wäre. Aber so einfach aussteigen, wo man will, ist an solchen Tagen nicht erwünscht. Von Niemandem. Und so ergab ich mich in mein Schicksal und ließ mich von den beiden Punkern mitsamt dem Kinderwagen, am Bestimmungsort aus dem Bus heben und vor einem Schalthäuschen der Telekom abkippen. Dem Hubschrauber, der sich langsam zu mir absenkte, signalisierte ich durch Winken mit dem weit ausgestreckten Mittelfinger meiner rechten Hand, dass es mir gut ginge, und ich keine Hilfe benötige.
Zwischen Menschen, die ganz schnell auf die Autobahn, und anderen, die noch schneller wieder herunter wollten, robbte ich mich langsam zu Block 50, Tisch 311 vor und fand auf Anhieb meine Freundin. Sie freute sich, das konnte man sehen, und das auch schon, als sie mich noch nicht erblickt hatte. So wie alle hier. Oder etwa nicht? Ich schaute mich noch einmal um. Wie schon im Bus, sah ich viele verbissene Gesichter, deren Eigentümer unter der Last der Aufgabe zu leiden schienen. Frauen, die ihre unwilligen Männer hinter sich her zogen. Und Männer, die so taten, als wären sie gerne hier. Tja, das kenne ich, dachte ich… Was man nicht alles tut, bis man sie rumgekriegt hat. Und dann sah ich wieder welche, da hätte ich mir gar nicht vorstellen können, sie rumkriegen…. Aber jetzt wollte ich erst einmal das Bad in der Menge genießen, oder wenigstens versuchen, nachzuempfinden, was Menschen davon haben, sich unter so viele andere Menschen zu mischen. Ich fand es nicht heraus, wie schon so oft, wenn ich das versucht habe.
Der Einzige, der wirklich Spaß zu haben schien, war ein Dreikäsehoch, den seine Eltern auf eine Notrufsäule gesetzt hatten, um ein unvergessliches Foto von ihm zu machen. Oder wollten sie nur einen Kurzfilm drehen, für eine dieser Pannenshows? Ich wendete mich ab. An einem so schönen Tag, zwischen so vielen Freude heuchelnden Menschen, wollte ich kein Blut sehen. Schon mit der ersten meiner Ausreden erreichte ich die Absolution und verließ den Ort des Geschehens. Irgendwie erleichtert, und doch auch ein wenig stolz, sitze ich nun hier und warte auf die ersten Hochrechnungen. Ob sie es geschafft haben? 60 Km Tisch an Tisch und Mensch an Mensch. Wenn sie clever waren, haben sie das gefilmt, als ich mich mal so richtig breit gemacht habe. Ich hoffe, dass es keine Lücken gab. Denn das würde bedeuten, dass es Menschen gibt, die sich nicht beeindrucken lassen, von solchen Veranstaltungen, und statt dessen lieber auf dem Balkon… Nein, solche Menschen gibt es nicht. Jedenfalls nicht viele. Das kann nicht sein. Sie müssten ja vernünftiger sein als ich. Und das kann ich mir einfach nicht vorstellen.

*18. 07. 2010
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Sixtynine Heute, 10:57
@nixxx: Gestern als ich die Menschenmenge sah, die auf den neuen Papst wartete, fiel mir das damalige Getümmel auf der Autobahn wieder ein. Ich fühle mich in solchen Aufläufen nicht wohl.
o.k., wir haben uns zeitweise in die Gruga verzogen, jedoch, soweit Radler, fuhren wir bis Dortmund in dem Getümmel mit (zurück auf der Landstraße) und hatten mit vielen Mitstramplern freundliche nette anregende Gespräche, welche die Staus vor + in den Tunneln angenehmer machten.