2 Jahre clean
Heute, 05:02
2 Jahre clean
Heute, 05:02
2 Jahre clean
Als ich gestern mit einem etwa gleichaltrigen, sehr guten Bekannten telefonierte, der sich heute die lange schon überfällige Einweisung in den Alkohol-Entzug holen wird, fühlte ich wieder die virtuelle Medaille in meiner Hand.
Trennungen sind schwer. Für jeden Menschen. Jähe, plötzliche. Aber auch schleichende und längst überfällige. Trennung im Partnerbereich heißt, sich einen Teil aus dem Herz und/oder vom Genital zu reißen. Und nicht selten auch, einen sehr guten Freund/eine Freundin zu verlieren.
Aber immer trennt man sich, oder wird getrennt, ..von einer Konstante im eigenen Leben. Und diese Konstanten sind so wichtig, dass man sie selbst dann vermisst, wenn sie konstant ungut für Leib und Seele waren.
Als schräger, nicht ganz pflegeleichter Typ wird man leicht zum Spezialisten für Trennung. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass man Gleiche sucht, und dass sich auch nur solche füreinander interessieren. Die Gleichung zweimal Minus ergibt Plus, geht aber nur selten auf. Das liegt daran, dass die eingebrachten Verletzungen, Schäden, Narben oder auch Lebensumstände, Spleens und Marotten nur sehr selten gleich sind.
Das einzig Gleiche ist dann die mangelnde Kompatibilität. Und die bildet ein sehr dünnes Seil, auf dem dann zwei, die sowieso schon kaum Halt für sich alleine finden, herum balancieren und nicht selten noch versuchen, aneinander vorbei zu kommen.
Meine umfangreiche Erfahrung im Kappen von Fang- und anderen Seilen und im Spüren des Amputations-Phantomschmerzes ändert nichts daran, dass Trennung auch für mich immer noch ein Unglück und manchmal sogar eine Katastrophe ist. Egal wie intensiv oder ernüchternd eine Beziehung war. Nur manchmal ist es so, als gäbe ich mein eigenes Leben auf.
So war es auch vor ziemlich genau zwei Jahren. Da ich mir Gedenktage nicht merken kann, feiere ich einfach heute Kreuzigung und Auferstehung. Und ich halte stolz meine virtuelle Medaille in den Händen.
Die Initialzündung kam damals von einer Wisschenschafts-Doku im Fernsehen. Es ging um das Verhalten von Menschen in Notsituationen. Erhebungen und Beobachtungen unter Passagieren auf sinkenden Schiffen und Fähren wurden analysiert. Heraus kam ein erschreckendes Verhalten, das wohl in steinzeitlicher Umgebung gut für uns war. Heute hat es für nicht Wenige fatale Folgen.
Mannschaften von Fähren berichteten, dass es selbst wenn der Kahn schon halb gesunken ist, äußerst schwierig ist, die Passagiere in die Rettungsboote zu nötigen. Statt die zwar schwankenden, überfüllten Botte zu entern, halten sie sich an Tischen, Pfeilern oder anderen festen Teilen des sinkenden Schiffes fest. Den sicheren Tod vor Augen, ist ihnen diese scheinbare Konstante lieber als die Unsicherheit, die zumindest eine reale Chance des Überlebens bietet.
Man könnte nass werden. Man müsste vielleicht drängeln oder würde gedrängt. Es könnte regnen. Man könnte ins Wasser fallen. Man könnte verdursten, ..und so weiter. Da ist doch der sichere Platz am Pfeiler bequemer. Selbst wenn das Wasser schon bis zu den Knien schwappt. Diesen Pfeiler nimmt uns keiner und im Moment ist man ja oben herum noch trocken. Wer weiß, was die Törichten auf den Booten ….
Ich zog also die Reißleine.
Und ich bereue es jeden Tag. Nein, nicht mehr jeden Tag. Es gibt inzwischen sogar Wochen, nach denen plötzlich wieder der Gedanke an Sie aufkommt. Aber ich freue mich auch jeden Tag darüber, ins Boot gesprungen zu sein. Und dieses gute Gefühl wird jeden Tag ein bisschen intensiver und schöner.
Nun gälte es, mich bereit zu machen, das Boot zu verlassen um ein sicheres Schiff zu entern, das mich dann endlich in den sicheren Hafen bringen könnte.
Und schon habe ich das nächste Problem mit mir und meinen Erfahrungen. Denn hier in meinem kleinen, bescheidenen Rettungsboot habe ich trockene Füße und ausreichend Proviant. Jeder Kutter oder Schoner, der von weitem wie ein Kreuzfahrtschiff wirkt, sich dann aber beim Näherkommen als Seelenverkäufer erweist, zeigt mir, dass ich das Boot doch nicht verlassen sollte.
Ob nun das Rettungsboot mein Pfeiler ist? Ich hoffe nicht. Und bisher habe ich noch trockene Füße. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich doch das eine oder andere Frachtschiff nicht weiter winken sollen. Manche sind sicher schon im Hafen und ich paddele immer noch hier herum.
Doch was helfen solche Gedanken? Als ich letztens mit „einem Date“ einen Spaziergang machte, schwärmte sie von ihrem platonischen Freund, einem Diplomaten, der vor Jahren um sie geworben hatte, der aber niemals ihr Partner werden würde. „Püppchen“ nennt er sie zärtlich. Und er erzählt ihr von der großen weiten Welt.
Dass sie mich vorher am Telefon belogen hatte, was ihren sozialen Status angeht, hatte ich ihr schon fast verziehen. Es gibt Augen, denen verzeiht man leicht. Vielleicht hätte sie nicht den nagelneuen Jaguar nehmen sollen um mich zu treffen. Und selbst ich erkenne den Wert so mancher Dekoration.
Aber, wie gesagt, ich hatte ihr schon fast verziehen. Doch ein Idol, das sie „Püppchen“ nennt und nächtelang mit ihr telefoniert, wenn es wieder mal gilt, Staatsbürger aus misslichen Situationen zu retten? Nein! Da spüre ich schon das Wasser, dass mir über die Unterlippe steigt. Selbst wenn dieser Dampfer zwei Schornsteine hat, ich bleibe lieber in meinem Boot.
Es können die üblichen Gängeleien sein, mit denen Frauen gerne mal die Belastbarkeit ihrer neuen Eroberung testen. Ein gespanntes Verhältnis zur Wahrheit. Oder einfach nur die Tatsache, dass die Plätze 1 bis 5 in ihrem Leben (die ich für mich beanspruche), anderweitig belegt sind. Dann bleibe ich lieber in meinem Rettungsboot.
Deshalb denke ich, ich sollte einfach weiter paddeln in der Hoffnung, gelegentlich einer anderen Schiffbrüchigen zu begegnen. Man könnte die Boote aneinander zurren. Die Reste an Proviant könnte man teilen, Erfahrungen austauschen und Angriffe von Haien abwehren. Und das in dem Wissen, dass jeder für sich entscheiden kann, wann und von welchem vorbeiziehenden Schiff man sich dann letztendlich retten lassen möchte.
Das ist allemal besser als der Pfeiler, an den ich mich zweieinhalb Jahre geklammert hatte, bevor ich endlich ins Boot sprang.
Zwei Jahre clean.
Ich habe mir die Medaille redlich verdient.
Und meinem Bekannten wünsche ich, dass er heute aus dem Bett kommt und sich wie geplant zum Arzt fahren lässt.
* 15. 09. 2014
Trennungen sind schwer. Für jeden Menschen. Jähe, plötzliche. Aber auch schleichende und längst überfällige. Trennung im Partnerbereich heißt, sich einen Teil aus dem Herz und/oder vom Genital zu reißen. Und nicht selten auch, einen sehr guten Freund/eine Freundin zu verlieren.
Aber immer trennt man sich, oder wird getrennt, ..von einer Konstante im eigenen Leben. Und diese Konstanten sind so wichtig, dass man sie selbst dann vermisst, wenn sie konstant ungut für Leib und Seele waren.
Als schräger, nicht ganz pflegeleichter Typ wird man leicht zum Spezialisten für Trennung. Das ergibt sich aus dem Umstand, dass man Gleiche sucht, und dass sich auch nur solche füreinander interessieren. Die Gleichung zweimal Minus ergibt Plus, geht aber nur selten auf. Das liegt daran, dass die eingebrachten Verletzungen, Schäden, Narben oder auch Lebensumstände, Spleens und Marotten nur sehr selten gleich sind.
Das einzig Gleiche ist dann die mangelnde Kompatibilität. Und die bildet ein sehr dünnes Seil, auf dem dann zwei, die sowieso schon kaum Halt für sich alleine finden, herum balancieren und nicht selten noch versuchen, aneinander vorbei zu kommen.
Meine umfangreiche Erfahrung im Kappen von Fang- und anderen Seilen und im Spüren des Amputations-Phantomschmerzes ändert nichts daran, dass Trennung auch für mich immer noch ein Unglück und manchmal sogar eine Katastrophe ist. Egal wie intensiv oder ernüchternd eine Beziehung war. Nur manchmal ist es so, als gäbe ich mein eigenes Leben auf.
So war es auch vor ziemlich genau zwei Jahren. Da ich mir Gedenktage nicht merken kann, feiere ich einfach heute Kreuzigung und Auferstehung. Und ich halte stolz meine virtuelle Medaille in den Händen.
Die Initialzündung kam damals von einer Wisschenschafts-Doku im Fernsehen. Es ging um das Verhalten von Menschen in Notsituationen. Erhebungen und Beobachtungen unter Passagieren auf sinkenden Schiffen und Fähren wurden analysiert. Heraus kam ein erschreckendes Verhalten, das wohl in steinzeitlicher Umgebung gut für uns war. Heute hat es für nicht Wenige fatale Folgen.
Mannschaften von Fähren berichteten, dass es selbst wenn der Kahn schon halb gesunken ist, äußerst schwierig ist, die Passagiere in die Rettungsboote zu nötigen. Statt die zwar schwankenden, überfüllten Botte zu entern, halten sie sich an Tischen, Pfeilern oder anderen festen Teilen des sinkenden Schiffes fest. Den sicheren Tod vor Augen, ist ihnen diese scheinbare Konstante lieber als die Unsicherheit, die zumindest eine reale Chance des Überlebens bietet.
Man könnte nass werden. Man müsste vielleicht drängeln oder würde gedrängt. Es könnte regnen. Man könnte ins Wasser fallen. Man könnte verdursten, ..und so weiter. Da ist doch der sichere Platz am Pfeiler bequemer. Selbst wenn das Wasser schon bis zu den Knien schwappt. Diesen Pfeiler nimmt uns keiner und im Moment ist man ja oben herum noch trocken. Wer weiß, was die Törichten auf den Booten ….
Ich zog also die Reißleine.
Und ich bereue es jeden Tag. Nein, nicht mehr jeden Tag. Es gibt inzwischen sogar Wochen, nach denen plötzlich wieder der Gedanke an Sie aufkommt. Aber ich freue mich auch jeden Tag darüber, ins Boot gesprungen zu sein. Und dieses gute Gefühl wird jeden Tag ein bisschen intensiver und schöner.
Nun gälte es, mich bereit zu machen, das Boot zu verlassen um ein sicheres Schiff zu entern, das mich dann endlich in den sicheren Hafen bringen könnte.
Und schon habe ich das nächste Problem mit mir und meinen Erfahrungen. Denn hier in meinem kleinen, bescheidenen Rettungsboot habe ich trockene Füße und ausreichend Proviant. Jeder Kutter oder Schoner, der von weitem wie ein Kreuzfahrtschiff wirkt, sich dann aber beim Näherkommen als Seelenverkäufer erweist, zeigt mir, dass ich das Boot doch nicht verlassen sollte.
Ob nun das Rettungsboot mein Pfeiler ist? Ich hoffe nicht. Und bisher habe ich noch trockene Füße. Aber wer weiß, vielleicht hätte ich doch das eine oder andere Frachtschiff nicht weiter winken sollen. Manche sind sicher schon im Hafen und ich paddele immer noch hier herum.
Doch was helfen solche Gedanken? Als ich letztens mit „einem Date“ einen Spaziergang machte, schwärmte sie von ihrem platonischen Freund, einem Diplomaten, der vor Jahren um sie geworben hatte, der aber niemals ihr Partner werden würde. „Püppchen“ nennt er sie zärtlich. Und er erzählt ihr von der großen weiten Welt.
Dass sie mich vorher am Telefon belogen hatte, was ihren sozialen Status angeht, hatte ich ihr schon fast verziehen. Es gibt Augen, denen verzeiht man leicht. Vielleicht hätte sie nicht den nagelneuen Jaguar nehmen sollen um mich zu treffen. Und selbst ich erkenne den Wert so mancher Dekoration.
Aber, wie gesagt, ich hatte ihr schon fast verziehen. Doch ein Idol, das sie „Püppchen“ nennt und nächtelang mit ihr telefoniert, wenn es wieder mal gilt, Staatsbürger aus misslichen Situationen zu retten? Nein! Da spüre ich schon das Wasser, dass mir über die Unterlippe steigt. Selbst wenn dieser Dampfer zwei Schornsteine hat, ich bleibe lieber in meinem Boot.
Es können die üblichen Gängeleien sein, mit denen Frauen gerne mal die Belastbarkeit ihrer neuen Eroberung testen. Ein gespanntes Verhältnis zur Wahrheit. Oder einfach nur die Tatsache, dass die Plätze 1 bis 5 in ihrem Leben (die ich für mich beanspruche), anderweitig belegt sind. Dann bleibe ich lieber in meinem Rettungsboot.
Deshalb denke ich, ich sollte einfach weiter paddeln in der Hoffnung, gelegentlich einer anderen Schiffbrüchigen zu begegnen. Man könnte die Boote aneinander zurren. Die Reste an Proviant könnte man teilen, Erfahrungen austauschen und Angriffe von Haien abwehren. Und das in dem Wissen, dass jeder für sich entscheiden kann, wann und von welchem vorbeiziehenden Schiff man sich dann letztendlich retten lassen möchte.
Das ist allemal besser als der Pfeiler, an den ich mich zweieinhalb Jahre geklammert hatte, bevor ich endlich ins Boot sprang.
Zwei Jahre clean.
Ich habe mir die Medaille redlich verdient.
Und meinem Bekannten wünsche ich, dass er heute aus dem Bett kommt und sich wie geplant zum Arzt fahren lässt.
* 15. 09. 2014