Der ungeliebte Mensch

Der ungeliebte Mensch
Als ich heute kurz vor Mittag den Bahnsteig 11 des Essener Hauptbahnhofs betrat, hatte ich sowieso nicht die beste Laune. Ich hatte mein Dauer-Ticket zuhause liegen lassen, und deshalb eine Fahrkarte käuflich erwerben müssen.

Dummheit wird eben bestraft, ..so ging ich mit mir ins Gericht, als ich langsam um den riesigen Blech-Automaten schlich. Hier kann man überteuerte Schorle, undefinierbare Heiß-Brühen, und je nach Jahreszeit knochenharte, oder aus der Packung laufende Marsriegel erstehen.

Als ich gerade an dieser Blech-Emma vorbei war, sah ich aus den Augenwinkeln, wie mir ein Mann seinen Hintern entgegenstreckte. Nicht dass mich die Hinterteile von Männern interessieren würden. Aber wohl reflexartig hatte ich eine Chance erahnt, mich ein wenig besser zu fühlen.

Denn dieser Mann mittleren Alters versuchte gerade mit einer Serviette das vom Boden aufzuheben, was ihm meiner Vermutung nach aus der Frittenschale oder dem Sandwich gerutscht war. Die Fähigkeit zur Schadenfreude ist nicht mein ausgeprägtester Charakterzug. Aber wenn ich mich gerade wieder mal besonders dumm angestellt habe, kann es nicht schaden, jemandem dabei zuzusehen, wie er die Reste seiner Dummheit aufsammelt.

Und dann hatte ich plötzlich Mühe, mein zweites Frühstück dort zu behalten, wo es sich seit etwa zwei Stunden befand.

Keine Curry-Wurst, keine Käse-Schinken Auflage oder Gurkenscheibe versuchte dieser Mensch aufzuheben. Nein, es handelte sich um drei wunderbar kreativ platzierte, macciato-farbene Würstchen grenzwertiger Konsistenz, die bei der Berührung mit der Serviette spontan an Form verloren.

Igitt!

Und dann sah ich den kleinen Produzenten, der mit Argusaugen die Verrichtung seines Dosenöffners überwachte. Ein weißer Malteser. Jedenfalls sah er so aus. Und mir schien, er war durchaus ein wenig stolz. Sowohl auf seinen Stammbaum, als auch auf seine Produkte und auf seine Dressurerfolge.

In der Kür, also darin, möglichst unauffällig seine Häufchen einzusammeln, sah er wie ich, sicher auch noch eine mögliche Steigerung. Aber in der Pflicht, also ihn für die Herstellung solcher Pracht-Würstchen zu loben, war sein Herrchen schon im Olymp angelangt.

“Was tut man sich nicht alles an?” fragte ich mich. “Und wofür das Ganze?” fragte ich mich.

Ich bin mit Haustieren aufgewachsen, die aber aufgrund der Wohnsituation auf dem Lande kaum Arbeit machten. Man hatte also eigentlich nur mit ihnen zu tun, wenn sie einen am liebsten haben. Beim Füttern, beim Spielen, beim Kraulen.

Dazwischen lebten sie artgerecht.

Sie waren eine Bereicherung. Sowohl für mich als Kind, als auch für meine Eltern. Aber wenn ich mal ganz ehrlich bin, in einer Stadt würde ich schon abwägen, ob die wenigen Schmuse- oder Spielstunden den Aufwand, die Verantwortung und die Lebensumstellung wert sind.

Sollte ein Mann im mittleren Alter nicht von einer Frau mittleren Alters und von seinen Kindern ausreichend geliebt werden? Sollte eine Frau um die Fünfzig schon ihr Leben nach einem Hund oder einer Katze ausrichten?

Ich meine nicht die Hunde oder Katzen, die als Freigänger im Dorf herumstreunen, während ihre Herrchen und Frauchen ihrem Menschenleben frönen.

Ich meine die Tiere der Frauen und Männer, denen sie als Katze oder Hund zunächst den fehlenden Partner oder die aus dem Haus gezogenen Kinder ersetzen.  Und ich meine die Tiere, die allein aufgrund des Aufwandes den sie verursachen, jegliche mögliche neue Mensch-Mensch Beziehung einer harten Prüfung unterziehen

Ja, schöne Augen hat der kleine Kläffer gemacht. Dankbar war er. Und wahrscheinlich liebt er sein Herrchen auf Hundeart. Aber kann das seinem Herren den Umgang mit Menschen ersetzen?

Mir ist schon klar, dass ich danach in meine kleine Behausung gefahren bin, in der ich alleine lebe. Und mir ist auch klar, dass dieser Hundehalter vielleicht auf dem Nachhauseweg zu seiner vierköpfigen Familie war.

Aber mir ist auch klar, dass die Verantwortung, gewissermaßen das “Bewirtschaften” von Haustieren in einer Stadt so viel Zeit in Anspruch nimmt, wie keine Frau ihrem Mann täglich widmen würde.

Natürlich gilt das auch in anderer Besetzung. Aber darin habe ich keine Erfahrung. Drittes Rad am Wagen, neben Hund oder Katze hätte ich aber schon mehrmals werden können.

Doch ich blieb Freigänger.

Das ist auch für Menschen-Männchen nicht die schlechteste Variante. Jedenfalls würde ich nicht mit dem Servietten-Mann tauschen wollen.

Und das, obwohl der kleine Schisser sooo liebe Äuglein hatte.


* 04. 12. 2012

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