Die Sache mit dem Ring

Die Sache mit dem Ring

 





Es sollte eine Überraschung werden! Kalle recherchierte in alten Schmökern herum. Nur mit Mühe gelang ihm die Entzifferung der alten Schrift. Dann aber fand er, was er suchte. Hier stand es, schwarz auf beige:


 


„…er goss der Maid den roten Wein


Gar überzart ins Glas hinein


Und legte den Juwel der Güte


Liebend in des Kelches Blüte



Und er brachte ihr den Trank


Vollem Herzen, innig Dank


Dar und stieß mit leisem Klang


Letztlich hoffend mit ihr an…“


 




Mehr brauchte es nicht, um die Überraschung auszuführen. Außerdem hatte Kalle genügend eigene Phantasie, wie es weitergehen würde. Heute Abend wollte Trude wieder zu Besuch kommen. Eine passendere Gelegenheit würde sich wohl so schnell nicht finden lassen. Was früher klappte, so dachte Kalle, müsste heutzutage ja auch funktionieren.



Er deckte also den Tisch, richtete alles schön ein und bald darauf klingelte es. Trude! Kalle ging zur Tür, um zu öffnen. Es war Trude. Kalle lächelte Trude an und sie lächelte zurück. Nun, ja, was sollten sie sonst in der Türe tun. Bis sich Kalle ans Herz fasste und Trude hereinbat. Dann flitzte er hierhin und dorthin, holte das Essen aus der Küche, deckte schnell ein und schon Trude den Stuhl unter, eben ganz Gentlemen, wie er es in alten Filmen gesehen hatte. Dann entschuldigte er sich noch schnell, um den Wein zu holen, wie er Trude zu verstehen gab. Kalle ging in die Küche und goss Rotwein in zwei hohe Weinkelche. In den einen davon versenkte er den Verlobungsring, den er ihr heute schenken wollte. Dann nahm er behutsam die Gläser und balancierte sie zum reichlich gedeckten Tisch. Er gab Trude den Kelch mit dem Ring und nahm den anderen zur Hand. „Auf unser Wohl!“, säuselte Kalle Trude zu und stieß mit ihr an. Sie nippte am Wein und schloss selig die Augen. Dann aßen sie, während das Tuch des Schweigens, nur unterbrochen von leisem Klirren des Bestecks und des Kontaktes mit den Tellern, sich über die beiden Liebenden senkte. Trude nahm einen tiefen Schluck. Kalle entging nichts! Jetzt! Jetzt müsste sie es merken. Und wie sie es merkte…!


 


 



Trude verschluckte sich. Legte die Hand auf den Bauch und wurde rot im Gesicht, während sie versuchte, krampfhaft zu husten. „Was war das?“, kam es gepresst von ihren Lippen. Kalle sprang auf, lief um den Tisch und riss dabei das Porzellan vom Tisch. „Liebling, soll ich Hilfe holen?“, rief er verstört. Sie wedelte verzweifelt mit den Händen, was ein Ja und ein nein bedeuten konnte. Kalle lief zum Telefon und rief den Notarzt an. Dann bettete er Trude auf den Teppich. Das Martinshorn erschallte auch gleich darauf und schon stand der Arzt vor der Tür. „Sie muss irgendetwas verschluckt haben, was ihr nicht bekommt…“, erklärte Kalle dem Notarzt. Dass sie eventuell einen Ring verschluckt haben könnte, verschwieg er. Er wollte sich nicht blamieren. Trude wurde auf eine Bahre gelegt und zum unten wartenden Wagen getragen. „Warum nur?“, rief Kalle verzweifelt. Warum so, dachte er, warum nicht so einfach wie im Buch? Wie erkläre ich es ihr nur…



Trude wurde im Eiltempo ins örtliche Krankenhaus gefahren. Ihr Gesicht nahm inzwischen einen bläulichen Ton an. Es war höchste Eile geboten! Dann ging alles recht schnell. Notaufnahme, Kurzröntgen, OP. Früh am Morgen wachte Trude auf. Sie lag in einem blütenweissen Bett. Sie konnte sich nicht so recht erinnern. Was war gestern Abend los? Ach ja, sinnierte sie, Kalle, das Essen, der Wein… - und dann?



Dann kam auch schon die Visite. Der Stationsarzt nahm sie unter die Lupe und untersuchte Trude. Trude setzte zum sprechen an, doch der Arzt fuhr handwedelnd dazwischen. „Nicht sprechen.“, riet er ihr. Und dann nahm er selbst das Wort an sich und betonte, dass alles vorbei wäre. Die Ursache wäre beseitigt. Trude wollte fragen, doch der Arzt kam ihr zuvor. „Sie wollen wissen, was die Ursache gewesen ist?“ Trude nickte leise. Der Arzt schmunzelte. „Ihr Freund sitzt in meinem Büro. Er hat mir alles erzählt. Einen besseren Liebesbeweis konnte er nicht erbringen, aber er hat nicht mit den Folgen gerechnet.“ Trude schaute den Arzt bittend an, ihr nun doch den Grund zu nennen. „Ach ja. Das hier…“ - und zeigte Trude den Ring, „mussten wie aus ihrem Hals holen.“ Trude schluckte krampfhaft. Wem gehörte der Ring, dachte sie angestrengt nach. Der Arzt ließ sie nicht länger im Unklaren und erklärte ihr alles. Erst musste sie stoßweise atmen, aber dann beruhigte sie sich. Kalle! Wenn sie den unter die Finger kriegen sollte, dann…! Aber andererseits…


Dann kam Kalle auch schon mit hängenden Schultern ans Bett. Trude schaute auf und in seine verzweifelten Augen.


 


Da vergab sie ihm und drückte seine Hand. „Kalle, du Doofi, warum so umständlich? Konntest du mir den Ring nicht einfach so geben? Ich hätte mich auch so gefreut…“ Kalle schaute so trübsinnig drein, dass Trude lachen musste. „Küss mich!“, forderte sie Kalle auf, leicht, aber bestimmt. Kalle beugte sich nieder und küsste Trude mitten auf den Mund. Er dachte, wie gut, dass alles so glimpflich gelaufen ist. Wenn er gewusst hätte, dass er Trude auf so einfache Art hätte beglücken können, hätte er sicher anders gehandelt.


 


 



Tja, so kann's gehen, wenn man einfache Dinge kompliziert angeht, die nachher komplizierter wirken, als sie eigentlich hätten sein können. Und Kalle und Trude? Wurden später noch ein Paar und wenn Trude ihm nicht „versehentlich“ einen Ring ins Essen gemischt hat, leben sie noch heute.


 


 


 

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